Texte der Klassen 8a und 8b zur Klassenlektüre „Horacker" von Wilhelm Raabe
(der Originaltext, wie er eigens für die beiden Klassen als Buch gedruckt wurde - nähere Erläuterung siehe unten im ersten Absatz!)
- „Addendum" zur Feuchtwanger Neuausgabe des „Horacker"
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Einige erklärende Worte für Interessierte...
Im Januar/Februar 2010 lasen die Klassen 8a und 8b des Gymnasiums Feuchtwangen Wilhelm Raabes Erzählung „Horacker" als Klassenlektüre - ein durchaus gewagtes Experiment, handelt es sich dabei doch nicht nur um ein Werk des für heutige Schüler tiefste Vergangenheit darstellenden 19. Jahrhunderts, sondern zusätzlich noch um eines, das noch nie wirklich im Zentrum des literarischen Interesses stand oder gar Eingang in den Kanon der häufig gelesenen Schullektüren gefunden hat. Dies führte u.a. dazu, dass der „Horacker" heute im 21. Jahrhundert nur noch in vereinzelten antiquarischen Exemplaren käuflich ist, so dass für die Klassenlektüre zunächst aus dem im Internet frei zur Verfügung stehenden Text eine brauchbare Vorlage in neuer Rechtschreibung erstellt werden musste, die man dann von der ortsansässigen Druckerei zu einem annehmbaren Preis in Buchform bringen lassen konnte.
Dass der „Horacker" seit über hundert Jahren ein oft allzu unbeachtetes Dasein fristet, heißt aber natürlich nicht, dass es ihm an literarischer Qualität mangeln würde. So zählt ihn etwa ein so bedeutender Literaturwissenschaftler wie Wolfgang Preisendanz mit zum Besten, was Wilhelm Raabe geschrieben hat, er bezeichnet die Erzählung in seinem Nachwort zur inzwischen vergriffenen Reclam-Ausgabe des „Horacker" als „Gipfel jener ganz unantastbaren Werke" Raabes und begeistert sich: „Was für ein Buch! war der Eindruck meiner ersten Lektüre vor rund einem Vierteljahrhundert; dieser Eindruck hat seither noch stets standgehalten. Und wer diesen Eindruck zu teilen vermag, der hat sich in seinem literarischen Urteil sicher nicht vertan" (Wolfgang Preisendanz: Nachwort. - In: Wilhelm Raabe, Horacker. Stuttgart 1980. S. 193-212; hier: S. 193).
Dass man von Achtklässlern im Jahr 2010 solchen Enthusiasmus nicht unbedingt von vorneherein erwarten darf, ist klar, für den Anfang aber genügt ja schon eine grundsätzliche Bereitschaft, sich mit einem Text auseinanderzusetzen, der von ihren bisherigen Leseerfahrungen im schulischen wie im privaten Bereich ein ganzes Stück entfernt ist. Diese Bereitschaft brachten die Schüler mit, wohl auch weil ihnen von Beginn an ausdrücklich erlaubt war, die Lektüre mit kritischem Blick zu lesen.
Aus der Diskussion im Unterricht, die u.a. zu Vergleichen der Schüler mit ihren eigenen Lieblingsbüchern führte, entwickelte sich eine bei vielen erstaunlich große Motivation, das Gelesene mit eigenen Texten zu ergänzen bzw. „Gegentexte" zum „Horacker" zu verfassen, die das bieten, was man im Original vermisst. Raabes Erzählung eignet sich hierfür ganz besonders, lässt der Autor doch die von ihm geschaffene Erzählerfigur in sehr auffälliger Weise mit den Lesererwartungen spielen und diese immer wieder enttäuschen.
So entstanden also zahlreiche Schülertexte, die auf vielfältige Weise das Gelesene aufgreifen, stilistisch variieren, inhaltlich ergänzen und erweitern, ob als Tagebucheintrag, Brief oder Erzählung, in der Ich-Form, die die von Raabes Erzähler oft vernachlässigte Perspektive des Titelhelden bzw. die seines geliebten Lottchens in den Mittelpunkt rückt, oder in der dritten Person, die dann wiederum Raabes charakteristischen Erzählstil nachahmt oder im Gegenteil eine ganz andere Erzählweise mit dem Originaltext konfrontiert.
Mit der Veröffentlichung im Internet waren alle Schüler einverstanden, einige wünschten jedoch, dass dies ohne Nennung ihres Namens geschehen sollte. Zusätzlich wurde von den Klassen selbst abgestimmt, welches die für sie besten Texte sind, wobei hier jeder Schüler für sich sein Votum schriftlich abgab und auch bei der Abstimmung noch nicht bekannt war, wer welchen Text geschrieben hatte, um ein möglichst objektives Bild zu erhalten.
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In der Klasse 8a wurden dabei immerhin 20 der vorgelegten 27 Texte als einer der drei besten Texte genannt. Das zeigt wohl, dass die meisten Texte bei den Lesern gut angekommen sind. Einige Kommentare verdeutlichen dies:
„Ich finde, dass alle Texte relativ gut geschrieben sind und recht nah bei einander liegen. Mein persönlicher Favorit ist jedoch Text 10, da er zum einen spannend und zum andern interessant geschrieben ist."
„Ich finde Text 6 richtig cool, weil er spannend und gut geschrieben ist."
„Ich muss gestehen, dass es sehr schwer war, die besten Texte herauszusuchen, weil alle gut waren! Hier sind meine Favoriten:
Platz 1: 21. Horacker Kapitel 11.1.
Platz 2: 15. Zusatztext: "Horacker"
Platz 3: 10. Mein Zusatztext zu Horacker - Horacker bricht aus"
„Ich habe mich für die Texte
1: 21; Horacker Kapitel 11.1
2: 19; Liebes Lottchen Achterhang und
3: 24; Horacker/Windwebel
entschieden, was aber nicht ganz einfach war, da ich fast alle Texte gut fand und ich mich einfach nicht so richtig entscheiden konnte, welche ich jetzt nehme."
„Ich finde Text Nr. 6 am besten. Er ist spannend geschrieben und es macht Spaß, ihn zu lesen."
Insgesamt ergab sich folgende „Top-Ten-Hitliste": Auf dem ersten Platz landete Text 10, „Horacker bricht aus" von Lisa-Marie Stadelbauer, dicht gefolgt von Text 4, Moritz Schillers Schilderung eines Horackerschen Raubzugs in einer Speisekammer, die in Raabes Original nicht vorkommt. Platz 3 belegt Text 6, in dem Daniel Klein ausführlich und dramatisch Horackers Verfolgung neu erfindet. Auf den Plätzen 4-6 finden sich die Texte 1, 8 und 15, gleichauf auf Platz 7 liegen Text 2 und 21, Platz 9 erreichte Text 24, und den zehnten Platz teilen sich mit gleicher Punktzahl die Texte 5, 7, 14 und 25. Doch auch die in dieser Rangliste nicht auftauchenden Texte tragen Interessantes, Amüsantes, jedenfalls immer Lesenswertes bei. Von geradezu Raabescher Ironie zeugt beispielsweise in Text 13 die Begründung eines Horacker-Verfolgers, warum er auf die Belohnung für die Ergreifung des „Raubmörders" so scharf ist: „...wir müssen weiter suchen, auf den Kerl ist eine hohe Belohnung ausgesetzt und unsere Frauen wollen doch unbedingt diese überteuerten Schuhe haben! Gib nicht auf, wir finden ihn."
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Die Klasse 8b nahm sich vor, in ihren eigenen Texten die Perspektive eines der Protagonisten einzunehmen, so entstanden interessante Tagebucheinträge des diffamierten Raubmörders oder seiner großen Liebe, Lottchen Achterhang.
Dabei tauchten verschiedene Varianten auf, die entweder der Textsorte ‚Tagebucheintrag' im modernen Sinne verpflichtet sind („Das Ganze geht ja eigentlich nur um einen Tag, also muss es auch nicht so viel sein...") oder den Raabeschen Stil imitieren und auch vor lateinischen Zitaten nicht zurückschrecken. Manche Texte lassen den Vergleich mit dem bayerischen Räuber Kneißl wieder aufleben, indem sie tatsächlich in Mundart verfasst wurden.
Auch in dieser Klasse wurde durchaus gerechtfertigt fast jeder Text als einer der drei besten einmal genannt, so dass sich folgende Hierarchie ergibt, die auch in der Auflistung der Tagebucheinträge nachzuvollziehen ist:
Am besten wurde Barbara Drobny bewertet, da sie sogar lyrische Elemente in ihr ‚Tagebuch' übernahm, dicht gefolgt von Hannes Thielke, der ganz im Stile Raabes arbeitete. Den dritten Platz teilen sich Kathrin Soldner und Niklas Herzel, die beide durch ihre umfangreichen Schilderungen großes Textverständnis und Einfühlungsvermögen beweisen. Auf dem vierten Platz landete Charlotte Hauf, den fünften Platz nimmt mit ihrem Tagebucheintrag Anna Haag ein. Die mundartlichen Texte von Fabian Ehrenschwender und Pascal Emmert wurden von den Mitschülern mit dem gemeinsamen sechsten Platz belohnt und Marina Zangerle landet mit ihrer gelungenen Version auf dem 7. Platz.
Die übrigen Texte belegen somit gemeinschaftlich den ehrenwerten 8. Rang, wobei deren Autoren auf namentliche Nennung verzichteten.
Die Schüler durften ihre jungfräulich weißen Horacker-Bücher selbst gestalten und ein geeignetes Layout entwerfen, wobei die Vorgabe war, ihren eigenen Text (oder das, was sie davon für besonders wichtig hielten) auf dem Buchrücken zu verewigen.
Auch dabei entstanden außergewöhnliche Exemplare! Katharina Böhm hat ihr wunderschönes Layout gleich am Computer entworfen, so dass es als Einstieg in die Schülerarbeiten präsentiert werden kann.
Trotz dieser zugegeben sehr anspruchsvollen Lektüre beweisen die Arbeiten der Schüler deren Potential, das ihnen ermöglichte, auch derartige Herausforderungen mit beeindruckendem Verständnis und viel Humor anzugehen.
Ein tolles Experiment!
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So bleibt nur noch, viel Spaß beim Lesen zu wünschen bzw. mit Wilhelm Raabes Worten zu sagen:
„Gott sei Dank, dass der Spaß nicht totzukriegen ist in dieser so sehr mürrischen Welt."
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Feuchtwangen, im Februar 2010
Anna-Bettina Hetzner, Bernd Lober